Berlin, 1.7.2012 - Dr. Seltsams Wochenschau "Jeder sei auf seine Art ein Grieche, aber er seis!" (Goethe)

1 Dr. Seltsam befragt den berühmten Griechenwirt Kostas Papanastasiouo vom Terzo Mondo, bekannt aus der TV-“Lindenstraße“, der gerade zur Wahl in Griechenland war. Hat die EU-Erpressung gewirkt? Was macht die Linke nun? Durch welche Fehler ist die KKE so total in der Bedeutungslosigkeit verschwunden, dass sie jetzt weniger Stimmen als die Nazis hat? Was für eine Partei ist die „Demokratische Linke“, die die neue Regierung unterstützt? Kann unsere Griechensoli helfen?

Kostas Papanastasiouo singt und spielt Theodorakis. Für die andere Musik sorgt Detlev K.

2 Die Zerstörung der Souveränität Griechenlands durch die Banken und die Hegemonialmächte Europas, die Gentrifizierung Griechenlands aus der EU, die Verelendung großer Teile der Bevölkerung Griechenlands ist ein Ausdruck des weltweiten Bankrotts des kapitalistischen Systems.

Verdrängungsstrategien, Verelendung, Getrifizierung sind auch in Berlin zu finden und auch der zunehmende Widerstand z.B. gegen drastische Mieterhöhungen wie in Kreuzberg. Detlev K. berichtet.


3 Da braut sich was zusammen! Europa will auf Augenhöhe mit den USA und China sein, und Griechenland will auf Augenhöhe mit den europäischen Einzelstaaten stehen.

Griechenland ist und wird weiterhin von den superreichen und dazu noch steuerflüchtigen Kapitaleignern und vom Militarismus in die Verschuldung getrieben. Die griechischen Rüstungskosten sind enorm, die höchsten in Europa. Waffen werden meist aus Deutschland geliefert. Wenn z.B. die Türkei Kampfpanzer geliefert bekommt, erhält Griechenland Panzerabwehrwaffen, aber selbstverständlich auch Waffen und Equipment gegen den "inneren Feind", der vor allem die gegen den Sozalkahlschlag revoltierende Bevölkerung ist.


4 Es gibt seit Jahrzehnten Provokationen türkischer Kampfjets über griechischem Luftraum, über griechischen Inseln und hin und wieder stürzen griechische und türkische Militärmaschinen nach Kollisionen ins Meer, das ist auch griechischer Alltag. Auch die Gefahr eines erneuten Militärputsches ist real. Die letzte Militärdiktatur in Griechenland ist erst Jahrzehnte her.

Auch in Ägypten zum Beispiel läuft eine für die USA adäquate Stategie mit der Kumpanei zwischen dem Militärrat, der Muslimbruderschaft und pseudolinken Organisationen, wie die sogenannten "Revolutionären Sozialisten", eine sogenannte "Einheits- oder Volksfront" angeblich gegen Konterrevolution und Faschismus.


5 Kostas Papanastasiouo berechnet die Verluste: Griechenland sitzt schon lange in der Schulden- und Kreditfalle.

Beim Militär gäbe es riesige Kapazitäten zum Sparen. Doch die Verschwörung der Waffenexporteure Deutschlands und Frankreichs und der Waffenimporteure Griechenlands wie auch die Nato verhindern das bisher.

Die Militärlobby in Griechenland hat den stärksten Einfluss. Es gibt sehr viele Soldaten in sehr vielen Stützpunkten in Griechenland.


6 Mit knapp 30 Prozent der abgegebenen Stimmen am 17.Juni 2012 kam die rechte Partei Nea Demokratia Antonis Samaras´ als Wahlsieger der Neuwahl in Griechenland in den Genuss der 50 Bonussitzen und bekam für die erforderliche Regierungsbildung 22 Mandate hinzugeliefert von der sozialdemokratischen PASOK, die auf 13 Prozent absackte und noch einige von der PASOK-Abspaltung "Demokratische Linke" für die gemeinsame Regierungskoalition. Diese Parteien vertreten zirka ein Viertel der Wahlberechtigten Griechenlands, in dem sich der Bevölkerungsanteil konzentriert, der sich mit der Umsetzung des rigorosen Sozialabbaus und der finanzkapitalistischen Plünderung des Landes eigene Vorteile erhofft.


7 Das Wahlbündnis SYRIZA war der zweite Gewinner der Wahl. Dominiert von der reformistischen Synaspismos, konstituierte sich SYRIZA nach der Wahl am 6.Mai zur Partei und bekam bei der Neuwahl am 17.Juni von den Wählerstimmen 27 Prozent. Wie bei allen Wahlen in Griechenland seit Ende der Junta 1974 gelang es der herrschenden Politik mit den Massenmedien erneut die öffentliche Wahldebatte auf Bipolarität zu fokussieren, früher auf ND und Passok, nun auf ND und SYRIZA. ND schürte die Angst vor drohendem Chaos, SYRIZA band die Wut der abhängig Arbeitenden, der Jugend und Rentner mit Wortradikalität und Versprechungen in neuen Hoffnungen und Illusionen.


8 Kostas Papanastasiouo:"Was hätte dieser junge Mann, Alexis Tsipras, alles in Bewegung setzen können, wenn man ihn an die Regierung gelassen hätte."

Alexis Tsipras, Spitzenkandidat von SYRIZA, versprach die Rücknahme des mit den Gläubigern ausgehandelte Memorandum, die Erhöhung von Mindestlohn und Arbeitslosengeld, die Bekämpfung von Vetternwirtschaft und Steuerhinterziehung und die schrittweise Einführung einer Kontrolle über Banken und Schlüsselindustrie. Gleichzeitig versicherte er die Mitgliedschaft in der Eurozone nicht anzutasten und auch nicht die militärische Sicherheit Griechenlands.


9 Keine Verhandlung oder Neuverhandlung mit den Gläubigern hat auch nur den geringsten Wert, wenn sie nicht für die breite Bevölkerung gemacht wird. Die Euro-Erpressung schreitet fort. Die Banken und Finanzspekulanten zocken weiter ab. Die Führung Europas lässt den Sozialkahlschlag wie in Hellas in einem Land nach dem anderen folgen. Es droht eine EU-Diktatur der Banken und möglicherweise unter deutscher Führung.



10 In Griechenland steigt die Suizidrate dramatisch. Nach Angaben des griechischen Notrettungsdienstes gab es allein im Großraum Athen im Juni 2012 über 350 Selbsttötungsversuche, bei denen über 50 Menschen zu Tode kamen und viele schwer verletzt wurden. Diese Statistik der zunehmenden Verzweiflung zeigt die Auswirkungen der harten "Sparpolitik".


11 Die faschistische Chrysi Avgi bekam bei der Wahl einen starken Stimmenanteil. Der Terror dieser Partei gegen die Arbeiterklasse nimmt kontinuierlich zu. Die faschistische Aggression richtet sich bisher hauptsächlich gegen Migranten und gegen die KKE und deren Jugendverband KNE.

Die KKE erlitt mit 4,5 Prozent der abgegebenen Stimmen und nur mehr 267 000 Stimmen bei der Neuwahl am 17.Juni gegenüber noch 529 000 Stimmen am 6.Mai eine empfindliche Wahlniederlage.


12 ND und SYRIZA verpflichteten sich in ihrer Programmatik auf die EU und auf die Nato, und beide Parteivorsitzende versprachen das Blaue vom Himmel. Samaras als Vorsitzender der ND präsentierte ein 18-Punkte-Programm zur Überwindung der Krise, Erhöhung von Renten und Kindergeld, die Verlängerung der Auszahlung von Arbeitslosengeld von einem auf zwei Jahre, die Intervention gegen eine weitere Absenkung von Löhnen im Privatsektor und die Schaffung von mindestens 150.000 Arbeitsplätzen innerhalb eines Jahres.


13 Kurze Zeit nach der Wahl stellte sich die Koalition der "Alternativen Linken" (SYRIZA) hinter die Kreditvereinbarungen mit der EU und versprach der griechischen Regierung eine verantwortliche Opposition zu sein, die Mehrheit der SIRIZA-Fraktion werde einem Gesetzentwurf der KKE nicht zustimmen, der die Aufkündigung sämtlicher Vereinbarungen mit der Troika aus EU-Kommission, IWF und Europäischer Zentralbank zum Inhalt hat.

Die rechte Politik, die SYRIZA in der Opposition vertritt, unterstreicht den Bankrott ihrer Perspektive, die sie im Wahlkampf propagierte, als sie immer wieder erklärte, die EU-Institutionen könnten reformiert und und die Kreditvereinbarungen gekippt werden.


14 In Streiks und Protesten nimmt die KKE eine ordnende Funktion ein. Alle, die sich von der GSEE und ADEDY, den großen offiziellen Gewerkschaftsverbänden, abwenden, sollen sich nicht unabhängig organisieren können, sondern unter der Kontrolle der KKE bleiben. Dies wurde deutlich, als im Dezember 2008 nach dem Mord eines Polizisten an einem 16-Jährigen heftige Proteste im Zentrum Athens ausbrachen. Die KKE verurteilte die Demonstranten und rief zur Ordnung. Auch den derzeit laufenden Stahlstreik in Halivourgia Aspropyrgos, wo Arbeiter bereits seit mehreren Monaten ihr Werk besetzt halten, versucht die KKE-Gewerkschaft PAME zu dominieren und zu isolieren. Indem sie weder in einem anderen Werk noch in anderen Industriezweigen unbefristete Streiks organisiert, verhindert sie eine Ausweitung des Widerstands.


15 Kostas Papanastasiouo spielt Mikis Theodorakis.

(Von 1967 bis in die späten 1980er Jahre wurde Mikis Theodorakis mit der Linken identifiziert, im Jahr 1989 kandidierte er aber als Parteiloser für die Liste der Mitte-Rechts-Partei Nea Dimokratia)

Selbst Teil des größten Gewerkschaftsverbands GSEE, beteiligte sich die PAME an jeder symbolischen Protestaktion, weigerte sich aber, Arbeiter zu ernsthaften unabhängigen Aktionen aufzurufen. Bezeichnend ein Aufruf der PAME und KKE zu einem symbolischen Streik von 24 Stunden am Tag nach den Wahlen – als alles gelaufen war.

KKE-Generalsekretärin Aleka Papariga rechtfertigte diese bankrotte Linie in einer Wahlsendung, indem sie eine revolutionäre Offensive der Arbeiter für unmöglich erklärte: „Wir befinden uns nicht in einer revolutionären Situation“, sagte sie, während Millionen Arbeiter in Griechenland ums nackte Überleben kämpfen und nach Perspektiven suchen, das Elend zu überwinden und die Angriffe der herrschenden Elite zurückzuschlagen.


16 Kostas Papanastasiouo spielt Mikis Theodorakis.

Die soziale Konterrevolution, die in Griechenland auf Anweisung der EU organisiert wurde, und die Millionen Arbeiter in die blanke Verzweiflung treibt, hat die sozialen Verhältnisse aufs Äußerste angespannt. Die griechische Gesellschaft steuert in eine vorrevolutionäre Situation.

Unter diesen Bedingungen kommt der KKE aus Sicht der herrschenden Elite eine entscheidende Rolle dabei zu, die soziale Wut der Bevölkerung zu kanalisieren und zu unterdrücken.

Unter diesen Vorzeichen haben auch die Forderungen der KKE nach einem Austritt aus dem Euro und der Aberkennung der Schulden nichts Fortschrittliches. Unter kapitalistischen Verhältnissen würde eine Rückkehr zur Drachme zu Hyperinflation und Massenarmut führen. Die KKE bietet sich für eine solche Situation als ordnende Kraft an.

Als im Oktober letzten Jahres hunderttausende Menschen vor dem Parlament gegen die Sozialangriffe protestierten, stellten sich Ordner der KKE in drei Reihen vor das Parlament, um es vor den wütenden Arbeitern zu schützen.


17 Kostas Papanastasiouo spielt Mikis Theodorakis.

Auf den Maikundgebungen der Parteien fanden sich nur wenige tausend Arbeiter ein, und als KKE-Chefin Papariga bei einem Wahlkampftermin auf der Akropolis um die Stimmen der Bauarbeiter werben wollte, wurde sie beschimpft und ausgepfiffen – weil sie Teil der sozialen Angriffe sei.

Wenn die KKE gegen die EU und die NATO spricht, tut sie das nicht, um die Arbeiter international gegen diese reaktionären Institutionen zu mobilisieren, sondern um sie Teilen der griechischen Bourgeoisie unterzuordnen, die einen nationalen Weg Griechenlands vorziehen. Ihre Kritik an der EU ist völlig nationalistisch.

Auch den Stahlstreik in Halivourgia Aspropyrgos, wo Arbeiter mehrere Monate ihr Werk besetzt hielten, versuchten KKE und PAME zu dominieren und zu isolieren.


18 Kostas Papanastasiouo spielt Mikis Theodorakis.

Angesichts dieser realen Rolle der KKE ist all die Rhetorik von „Volksmacht“ und dem „Eingreifen der Arbeiterklasse“ völlig hohl und dient nur dazu, die rechte Praxis abzudecken und die Arbeiter hinters Licht zu führen. Unter den extrem instabilen politischen Verhältnissen, die durch die Wahlen erzeugt wurden, bietet sich die KKE mit ihren engen Verbindungen zur Gewerkschaftsbürokratie, ihrer langen Erfahrung in der Unterdrückung der Arbeiter und ihrer Stellung als stabiler Institution als loyale Opposition an, die dem Widerstand der Arbeiter die Spitze brechen kann. Das ist der Grund, weshalb sie eine Beteiligung an der Regierung bisher kategorisch ausschloss.

Millionen haben in vielen Ländern Europas gegen die Spardiktate der EU, des IWF und der eigenen Regierung gekämpft mit Generalstreiks und Massenprotesten, doch erreicht haben sie nichts.

Der Lebensstandard der Bevölkerung ist ständig weiter gesunken, in Griechenland z.B. um bis zu 50 Prozent, die Arbeitslosigkeit hat Rekordwerte erreicht, Armut und Obdachlosigkeit explodieren, die soziale Lage ist katastrophal.


19 Kostas Papanastasiouo spielt Mikis Theodorakis.

Doch verantwortlich für die Erfolglosigkeit des Kampfes gegen die Spardiktate zum Beispiel in Griechenland ist dort einerseits die sozialdemokratische PASOK, die vor drei Jahren mit sozialen Versprechen die Wahl gewann und anschließend das Spardiktat der Troika rücksichtslos durchsetzte. Verantwortlich sind die Gewerkschaften, die den Widerstand auf ohnmächtige, zeitlich beschränkte Protestaktionen beschränkten und lähmten, um PASOK den Rücken freizuhalten. Und verantwortlich sind vor allem die Koalition der Alternativen Linken (Syriza) und ihre zahlreichen pseudolinken Verteidiger, die den Widerstand in eine politische Sackgasse lenkten.

Ungeachtet ihrer linken Rhetorik vertritt SYRIZA die politischen Interessen der griechischen Bourgeoisie. Ihre Differenzen mit PASOK und Nea Dimokratia sind rein taktischer Art. Sie stützt sich auf eine Schicht der Mittelklasse, die ihre Existenz sowohl vom Spardiktat der EU als auch vom explosiven Widerstand der Arbeiterklasse bedroht sieht. Um diese Kluft zu überbrücken, bedient sie sich linker Sprüche gegen die Sparpolitik, während sie gleichzeitig den griechischen und europäischen Kapitalismus verteidigt.


20 Griechenland zeigt, dass die Arbeiterklasse ihre Rechte und sozialen Errungenschaften nur bewahren kann, indem sie mit den Gewerkschaften und pseudolinken Organisationen wie SYRIZA bricht, sich einem sozialistischen Programm zuwendet und eine neue, revolutionäre Führung aufbaut. Es ist unmöglich, gegen das Spardiktat der EU zu kämpfen und gleichzeitig den Kapitalismus und die EU zu verteidigen. Die EU ist das wichtigste Instrument für die Unterwerfung Europas unter das Diktat der Finanzmärkte. Die gesamte europäische Arbeiterklasse muss zum Sturz der kapitalistischen Regierungen und für den Aufbau von Arbeiterstaaten in ganz Europa und weltweit mobilisiert werden.

Die Hauptgefahr besteht darin, dass Parteien wie SYRIZA und die sozialen Schichten, die sie in der wohlhabenden Mittelschicht und in den Staats- und Gewerkschaftsbürokratien repräsentieren, die Kämpfe der Arbeiterklasse desorganisieren und blockieren, während ein wirtschaftlicher Zusammenbruch bedrohlich näher rückt und die Einrichtung einer reaktionären Diktatur zur realen Gefahr wird.


21 SYRIZAs Tsipras gab selbst zu, dass SYRIZA sich im Geheimen mit hohen Beamten trifft, um Notmaßnahmen für den Fall zu ergreifen, dass die EU Griechenland aus der Eurozone ausschließt. Anfang Juni traf er sich mit dem Oberkommando der griechischen Armee und rief zur Stärkung der Streitkräfte auf.

Dies unterstreicht die Notwendigkeit für einen systematischen politischen Kampf gegen diese pseudo-linken Strömungen. Die Arbeiterklasse kann ohne einen Kampf gegen diese Verräter keinen Schritt vorwärts machen. Sie stehen vor der Aufgabe, in Griechenland und ganz Europa eine neue politische Partei aufzubauen, um die Arbeiterklasse im Kampf gegen die EU-Einrichtungen und für die Diktatur des Proletariats zu vereinen.